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Die Novemberrevolution und die Sozialdemokratie

* Von Hermann Müller-Franken * 18.05.1876 - † 20.04.1931

 

Die Novemberrevolution - Seite 4

Die Oberste Heeresleitung gab dem Prinzen Max keine Zeit mehr, um eine Friedensoffensive vorzubereiten, sondern sie verlangte am 1. Oktober sofort nach Bildung einer neuen Regierung die Übersendung eines Waffenstillstandsangebots. Die Oberste Heeresleitung fürchtet damals im Westen einen Durchbruch und als Folge die Aufrollung der ganzen Front. Wenn es zunächst dazu auch nicht kam, so war doch die völlige militärische Niederlage nur noch eine Frage der Zeit. Dazu kam der Abfall der Verbündeten Deutschlands, der am 26. September 1918 durch die Friedensforderung Bulgariens eingeleitet wurde. Ich erinnere mich genau, wie im Reichshaushaltsausschuss des Reichstags Graf Westarp am Vormittag für die Konservativen noch den starken Mann markiert, aber am Nachmittag einen wesentlichen Teil seiner Courage eingebüßt hatte, nachdem die Parteiführer über die militärische Lage nach dem Abfall Bulgariens informiert worden waren. Nach dem weiteren Abfall der Türkei und Österreich-Ungarns hatte die Entente den Sieg sicher in der Tasche. An einer Fortführung des Kampfes, auch nur bis zum Jahresende, konnten nur Wahnsinnige denken.

Wer zu behaupten wagt, dass die Fugblätter des Spartakusbundes den Krieg entschieden hätten, macht sich ebenso lächerlich wie derjenige, der glaubt, dass die deutsche Revolution mit dem Gelde der Bolschewisten gemacht worden sei, für das Emil Barth Revolver kaufte und Flugblätter drucken ließ. Übrigens würde das letztere, wenn es wahr wäre, schwere Schuld auf die Oberste Heeresleitung wälzen, denn mit Genehmigung Ludendorffs sind Lenin, Sinowjew und andere Bolschewisten 1917 im plombierten Wagen durch Deutschland gefahren, damit sie beim "Weitertreiben" der russischen Revolution dabei sein konnten.

Wir Mehrheitssozialdemokraten hatten vor der Revolution keine Beziehungen zur Russischen Botschaft. Wir haben Herrn Joffe und sein Personal stets richtig eingeschätzt. Als eine Beihilfe der Russischen Botschaft bei der Herstellung und Verbreitung illegaler Flugblätter vermutet wurde, ohne dass der Beweis angetreten werden konnte, machte Scheidemann den Vorschlag, einmal eine Kuriekiste ordentlich zu stürzen. Das wurde am 4. November 1918 auf dem Bahnhof Friedrichstraße probiert. Die Kiste platzte und prompt kam in deutscher Sprache gedruckte illegale Literatur zum Vorschein. Wie das nach dem geltenden Völkerrecht Brauch ist, wurden Herrn Joffe und seinem Personal die Pässe zugestellt. Am 6. November 1918 reiste das Personal der Botschaft nach Moskau ab, nachdem Herr Joffe noch am Abend des 5. November dem juristischen Beistand der russischen Botschaft, dem Rechtsanwalt Oskar Cohn, Geld "zur Förderung der Revolution" übergeben hatte. Oskar Cohn nahm das russische Regierungsgeld ruhig an, weil es nach seiner Auffassung das Geld einer gleich der Unabhängigen Sozialdemokratie auf der Zimmerwalder Konferenz vertreten gewesenen Bruderpartei war! Er hatte auch keine Bedenken, wegen des Zweckes: den Gedanken der Revolution in Deutschland zu verbreiten.

Festgestellt muss werden, dass Oskar Cohn sich mit der Annahme dieses Geldes in Gegensatz zu der Haltung der Unabhängigen Sozialdemokratie gesetzt hatte, die nach einer am 10. November 1918 veröffentlichten Erklärung ihres Parteivorstandes schon Monate vorher beschlossen hatte, Gelder, die aus russischen Quellen herrühren könnten, zurückzuweisen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aus fremden Staaten stammende Geldmittel nicht in den Dienst der Parteipropaganda gestellt werden sollten. Dass das russische Geld nicht Parteigeld, sondern Regierungsgeld war, konnte nicht zweifelhaft sein.

Wir Führer der Mehrheitssozialdemokratie haben die Kreise stets mit allen Mitteln bekämpft, die unter völliger Verkennung der wirtschaftlichen Existenzmöglichkeiten Deutschlands den Bolschewismus nach Deutschland verpflanzen wollten. Daraus entstand die Legende, dass wir bis in die Novembertage hinein überhaupt jeder revolutionären Bewegung feindlich gesinnt gewesen seien. Wir wussten allerdings, dass Revolution nicht gemacht werden. Wir hatten das Wort Ferdinand Lassalles nicht vergessen: "Eine Revolution machen wollen, ist eine Torheit unreifer Menschen, die von den Gesetzen der Geschichte keine Ahnung haben."

Das galt ganz besonders für die Novemberrevolution, die sich nicht aus den gesellschaftlichen Zuständen normal entwickelte, sondern ein Kriegskind war. Vom Oktober 1918 ab war sicher, dass der Ausbruch der Revolution kam. Fraglich war nur, wo zuerst und an welchem Tage die Gewalt des Krieges in die Gewalt der Revolution umschlug. Der sozialdemokratische Parteivorstand hatte seit dem Januarstreik von 1918 eine enge Fühlung mit den Vertrauensleuten der Partei in den Berliner Großbetrieben hergestellt. Er war infolgedessen über die wirkliche Stimmung unter den Berliner Arbeitern genau unterricht

Und wie in Berlin, so draußen. Für den 12. und 13. Oktober 1918 wurde ich von dem Landesvorstand der bayrischen Sozialdemokratie nach München gerufen, um an Stelle des in der Schweiz erkrankten Genossen Adolf Müller auf dem 14. Parteitag der bayrischen Sozialdemokratie das Referat über die "Reichs- und Auslandspolitik" zu halten.

 


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