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Wissenschaft und Menschheit

Die Novemberrevolution und Kaiser Wilhelm

* Von Hermann Müller-Franken * 18.05.1876 - † 20.04.1931

 

Die Novemberrevolution - Seite 8

Wir Mehrheitssozialdemokraten glaubten nicht an das gleichzeitige baldige Eintreten tiefer Umwälzungen in allen Staaten. Warum sollten in den Ententeländern, denen der Sieg seit dem August 1918 in greifbarer Nähe gerückt war, Revolutionen kommen?
In bürgerlichen Kreisen sah man diese Zeichen der nahen Umwälzung mit Besorgnis an. In Berlin fürchteten damals gerade demokratische Politiker, dass die verzweifelte Stimmung in Bayern in der Zeit der größten Not des Reiches zum Abschluss eines Separatfriedens nach dem Vorbilde Karl von Habsburgs drängte.

Zur Unterstützung der Regierungspolitik war die Zentrale für Heimatdienst" in der Potsdamer Straße 113 unter Leitung des Staatsekretärs Erzberger errichtet worden, die Richtlinien für die Friedensfrage, für die Demokratisierung des Reiches und der einzelnen Bundesstaaten und für die Erhaltung der Einheit des Reiches in Form von Flugblättern herausgab. Erzberger war sozusagen Propagandaminister geworden. Aber auch diese Arbeit kam reichlich spät. In wie viel bayrische Hände mag das am 4. November gedruckte Flugblatt Richtlinien Nr. 6 "Bayern und das Reich" gekommen sein, in dem es unter Bezugnahme auf Bayern hieß:

"So wird jetzt durch eine heimlich, mit Hilfe von allerhand gedrucktem oder gesprochenen Agitationsmaterial getriebene Mache der Abfall vom Deutschen Reiche als unabwendlich und nutzbringend hingestellt."

Es wurde dann den Bayern ihre Verbundenheit mit Deutschland an der Hand einer Fülle von Zahlen klar gemacht. Die Bayern hätten keine Kohle und fast keine künstlichen Düngemittel, für die Norddeutschland eine Art Weltmonopol besitze, usw.:  "Kein fremder Staat, auch Deutschösterreich nicht, könne ersetzen, was durch Loslösung vom Norden verloren ginge." Gegen das Gespenst der Donaumonarchie hatte sich in Bayern selbst bereits die München-Augsburger Allgemeine Zeitung gewandt.

Am 31. Oktober hatten wir in der "Zentrale für Heimatdienst", deren Beirat ich damals als Beauftragter der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion angehörte, unter Erzbergers Vorsitz eine eingehende Debatte über kommende Staatsumwälzung. Wer sie miterlebt hat, muss zugeben, dass der heute von allen Reaktionären so sehr geschmähte Erzberger damals das Menschmöglichste tat, um die Debatte über die Kaiserfrage einzudämmen. Er suchte mit allen Mitteln zu beweisen, dass Wilson auch in seiner Note vom 20. Oktober 1918 nicht die Abdankung Wilhelms II. verlangt hätte.

Erzberger suchte für die Richtlinien zur Kaiserfrage eine einstimmige Billigung des Beirats herbeizuführen. Das gelang ihm aber nicht. Ich widersprach ihm nicht nur, weil ich andere Folgerungen aus den Noten Wilsons zog, sondern auch, weil meiner festen Überzeugung nach durch die Herausgabe solcher Richtlinien über die Kaiserfrage irgendwelcher Eindruck auf die Massen des Volkes nicht mehr zu erzielen war. Um die Einmütigkeit herzustellen, wollte mich Erzberger dazu überreden zuzugestehen, dass die Kaiserfrage zurzeit noch nicht die Abdankung des Kaisers erheische. Er ließ deutlich durchblicken, dass es aber bald soweit kommen könne. Aber ich konnte ihm auch diesen Gefallen nicht tun. Die Richtlinien gingen dann am 31. Oktober mit folgender Einschränkung heraus:

Die folgenden Richtlinien sind nicht dazu bestimmt, den Meinungsstreit über die Kaiserfrage zu verbreiten und zu vertiefen, sondern sie sollen nur den Gedanken zur Abwehr und Zurückweisung für diejenigen enthalten, die bei einer öffentlichen oder privaten Erörterung für das Verbleiben des Kaisers pflicht- und überzeugungsgemäß eintreten wollen."

Damit war gesagt, dass sie eigentlich nur noch für den Hausgebrauch bis in die Knochen konservativer Familien bestimmt waren. Erzberger fürchtete aber auch, dass nach der Abdankung des Kaisers und des Kronprinzen in einer Zeit schwerster Erschütterungen der Sohn des Kronprinzen, ein Knabe im Alter von zwölf Jahren, an die Spitze des Reiches gestellt werden würde. Die Regentschaft würde ungeheure Schwierigkeiten überwinden müssen, zumal für Preußen der nächste männliche Anverwandte, Prinz Eitel Friedrich, als Regent in Betracht komme. Damals war noch nicht bekannt, dass Wilhelm II. sich einige Tage vorher von seinen sämtlichen Söhnen - und seine sieben Söhne haben ja alle den Krieg überstanden - hatte feierlich versprechen lassen, dass keiner im Falle seiner Absetzung die Regentschaft übernehmen würde. Sozusagen also ein Generalstreik der Hohenzollern im Falle der Absetzung. Freilich hoffte damals Erzberger noch, dass Wilhelm II. freiwillig gehen würde:

"Glaubt der Kaiser, die Bürde der Krone nicht mehr tragen zu können, so wird sich die Nation in Ehrfurcht seinem Entschlusse beugen: sie darf aber nicht von sich aus dem Kaiser die Treue versagen."

Wilhelm II. dachte damals noch nicht an Abdankung, aber immerhin war ihm Berlin zu unsicher geworden. Er floh, ohne von seinem Vetter, dem Prinzen Max, Abschied zu nehmen am 29. Oktober - angeblich aus Furcht vor Grippe - ins Große Hauptquartier. Der Reichskanzler suchte vergebens unter den deutschen Fürsten und Prinzen einen, der Wilhelm II. zur Abdankung überreden konnte.

 


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